
Es ist ja eine Frage der persönlichen Einstellung, mit wie viel Demut man sich einem Sterne-Restaurant und seinen Erzeugnissen nähert. Für alle, die Angst vor einer steifen Kellnerbrigade und gestärkten Servietten haben, dem wird das Tramin endlich gerecht werden: überraschende Spitzenküche gepaart mit freundlichem, kumpelhaft-lässigem Service. Im Tramin in Haidhausen herrscht im Gastraum Schlichtheit par excellence. Weiße Wände, Standard-Stühle an minimalistisch dekorierten Holztischen mit Teelicht-Atmosphäre.
Ein Sterne-Restaurant stellt sich der brave Bürger gemeinhin eigentlich anders vor. Auch Sterne-Wirte erwartet man nicht stark tätowiert und mit Turnschuhen, aber so soll es sein, das Konzept von Inhaber und Sommelier Holger Baier. Überraschend, unkonventionell und wild. Das ist ihm gelungen und hat wohl auch die Tester des Guide Michelin überzeugt. Der 27-jährige Küchenchef Daniel Schimkowitsch und sein Team haben Ehrung von höchster Stelle bekommen und sind mit einem Stern ausgezeichnet worden. Damit ist das Lokal gleichauf mit dem Schuhbecks In den Südtiroler Stuben, dem Restaurant Königshof oder dem schönen Acquarello.
Der Gast im Tramin darf zwischen 4- bis 7-Gang-Menüs mit oder ohne Weinbegleitung wählen. Die Speisekarte gibt nicht viel an Informationen preis und die Richtung wird nur angedeutet, der Gast wartet nach Bestellung eigentlich auf ein klassisches Menu Surprise. Hunger darf man nicht mitbringen, besser Neugierde auf wirklich kreative Kreationen. Die begleitenden Weine sind exzellent und sehr, sehr gut eingeschenkt. Die Kombination aus wenig Essen und viel (gutem) Alkohol lässt ungeübte Trinker allerdings ab dem 3. Gang die Speisenfolge vergessen und nach dem 5. den Gang über die Stufen zum WC als artistische Herausforderung ansehen.
Leider begleitet in unserem Fall das Essen den Wein, denn ein bisschen Aal und Krabbe, ein wenig Schaum oder ein leichtes Süppchen vertragen sich einfach nicht auf nüchternen Magen mit großzügig eingeschenkten 0,2 l Wein pro Gang. Mit einem Griff zum Brotkorb versucht man, Schlimmeres zu verhindern, und dies führt bedauerlicherweise dazu, dass ab dem 4. Gang, wo es richtig interessant und der Poltinger Gockel serviert wird, die Ressourcen im Magen knapp werden.
Chef Baiers Frage „Was darf ich euch denn jetzt noch ausgeben?“ nach beendetem Menü ist genauso großzügig wie ungewöhnlich in der sonst so steifen Sterneküche und passt somit in das „wilde Konzept“ des Tramins. Wenn man weiß, was auf einen zukommt, verzichtet man auf elegante Ausgeh-Garderobe und isst vorher vielleicht zu Hause ein Schinkenbrot, um sich dann völlig entspannt in die Hände von Holger Baier und Daniel Schimkowitsch zu begeben. Wegen der Parkplatzknappheit in Haidhausen fahren Sie besser auch nicht mit Ihrem Wagen, den müssten Sie hinterher sowieso stehen lassen.
Restaurant Tramin
Text: Britt Heudorf